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Vom Schaf zum Buch — Pergament machen live

Lea von Berg, Studierende des Master "Mittelalter- und Renaissance-Studien", beschreibt im folgenden Bericht eine Exkursion, die in die Basler Papiermühle (Schweizerisches Museum für Papier, Schrift und Druck) führte und am 13.06.2017 stattfand. Sie können den Bericht auch als PDF-Datei herunterladen.

 

Pergament_machen.JPG„Geschichte ‚hautnah‘ erleben“, das versprach die Ankündigung des Workshops zur Pergamentherstellung in der Basler Papiermühle, der vom 13. bis 18. Juni 2017 allen interessierten MuseumsbesucherInnen die Möglichkeit bot, bei den einzelnen Arbeitsschritten selbst Hand anzulegen. Die TeilnehmerInnen des zum Masterstudiengang ‚Mittelalter- und RenaissanceStudien‘ gehörenden Ringseminars ‚Quellenkunde‘ hatten vor dem öffentlichen praktischen Teil im Rahmen einer kleinen Einführung die Möglichkeit, sich dem Herstellungsprozess zunächst theoretisch anzunähern. Martin Kluge, der den Workshop bereits zum dritten Mal leitete, betonte jedoch bereits hier, dass eine eingehende Beschäftigung mit dem alten Beschreibstoff letztendlich nur experimentell möglich sei.

Noch vor der Beschäftigung mit den Besonderheiten der Häute einzelner Tierarten und den Möglichkeiten der Oberflächenbehandlung stellt sich die grundlegende Frage, was Pergament von Leder unterscheidet. Die gängige Antwort, Leder werde gegerbt, Pergament hingegen bleibe ungegerbt und werde nur an der Luft getrocknet, zieht wiederum die Frage nach sich, was genau unter Gerben zu verstehen ist. Schließlich wird auch die Haut, aus der Pergament werden soll, zur Haarentfernung mit kaustischen Mitteln behandelt, und in der Geschichte der Pergamentherstellung lassen sich auch Teilgerbungen nachweisen (etwa bei den berühmten Qumram-Rollen). Als Faustregel kann höchsten gelten, dass zum Gerben saure Substanzen verwendet werden, bei der Pergamentherstellung hingegen basische.

Die Entstehung des Pergaments geht laut Plinius d. Ä. auf Eumenes II. (2. Jh. v. Chr.) zurück: Als es zu Lieferengpässen von Papyrus kam, auf welches Ägypten zu dieser Zeit ein Monopol hatte, soll Eumenes, um endgültig vom Papyrus-Markt unabhängig zu sein, das Pergament erfunden haben. Heute lässt sich nachweisen, dass schon rund 100 Jahre früher Pergament verwendet wurde, und bearbeitete sowie beschriftete Tierhäute finden sich in den verschiedensten Kulturen weltweit. Aus der Frühzeit der Verwendung von Pergament wie auch aus dem Mittelalter sind jedoch kaum Quellen zu dessen Herstellung bekannt. Die früheste, überaus knappe Anleitung findet sich im Lucca Manuskript aus dem 8./9. Jh. (Lucca, Kapitularbibliothek, Cod. Carol. 490), eine wesentlich ausführlichere Beschreibung der Arbeitsschritte bietet eine 400 Jahre jüngere Handschrift (1. Hälfte 12. Jh.; London, British Library, MS Harley 3915). Umfassende Darstellungen der Technik begegnen erst in Enzyklopädien und Abhandlungen des 18. Jh.s, etwa in dem von Denis Diderot und Jean Baptiste le Rond d’Alembert herausgegebenen Nachschlagewerk oder in Joseph Jérôme Le Français de Lalandes ‚Die Kunst, Pergament zu machen‘. Abgesehen davon, dass um mehrere Jahrhunderte jüngere Quellen wenig über die Pergamentherstellung im Mittelalter auszusagen vermögen, bleiben auch bei detailliert erscheinenden Anweisungen Fragen offen, die sich oftmals erst ergeben, wenn man versucht, die Beschreibungen in die Praxis umzusetzen. Herr Kluge berichtete etwa von der Erfahrung, dass beim Vermahlen der zum Abschleifen des Pergaments benötigten Eierschalen die Eihaut stört. Da schwer vorstellbar ist, dass im Mittelalter kiloweise Eierschalen von Hand gepult wurden, hat er andere Möglichkeiten ausprobiert und schließlich festgestellt, dass die Haut beim Anrösten der Schalen verkohlt und sich dann leichter entfernen lässt. Das aus den gerösteten Schalen hergestellte Kalkpulver ist allerdings nicht reinweiß.

Die Häute verschiedener Tierarten weisen unterschiedliche Strukturen auf, an denen sie erkennbar sind: Das Porenbild einer Kalbshaut etwa ist sehr regelmäßig, während eine ovallängliche Haarkanalöffnung auf Ziegenhaut hinweist. Die Qualität des Endproduktes hängt vor allem vom Alter des Tieres ab. Die Vorstellung, dass besonders feines Pergament (sog. Jungfernpergament) deswegen sogar aus ungeborenen bzw. frühgeborenen Kälbern hergestellt wurde, ist allerdings höchst unrealistisch. Gerade bei Schafen ist jedoch die Zahl der Fehlgeburten sehr hoch, ebenso die Sterblichkeitsrate von Lämmern (etwa 5% der Jungschafe), sodass die Häute dieser Tiere verwendet werden konnten. Dass Pergament kein ‚toter‘ Beschreibstoff wie Papier ist, zeigt sich an den besonderen Bedingungen, die eine ideale Lagerung ausmachen: Die Luftfeuchtigkeit sollte keinesfalls unter 40% liegen, denn wenn das Pergament einmal zu sehr ausgetrocknet ist, lässt sich der ursprüngliche Zustand nicht wiederherstellen. Bei Bränden können Schäden schon alleine durch große Hitze entstehen, da Pergament ab ca. 60°C stark einschrumpft und die einzelnen Blätter gleichzeitig miteinander verleimen, wodurch ein untrennbarer Block entsteht.

Abgesehen von dem Abschleifen mit Kalkpulver bestehen noch weitere Möglichkeiten der Oberflächenbehandlung, um weißeres und glatteres Pergament zu erhalten, aber auch um durch leichtes, gleichmäßiges Anrauen und durch Binden von Fett die Aufnahmefähigkeit für Tinte zu erhöhen. Das Pergament kann dazu mit Hasenleim und Kalk bestrichen werden, was Herr Kluge in verschiedenen Varianten ausprobiert hat. Je nach Anwendung erhält man entweder eine pudrig-feine Oberfläche oder eine fast wie Plastik anmutende. Diese Bandbreite ist auch bei Originalen erkennbar, die den TeilnehmerInnen zum ‚Nachfühlen‘ zur Verfügung standen.

Nach dieser informativen Einleitung begann die praktische Umsetzung des Gehörten im Innenhof des Museums. Zunächst demonstrierte Herr Kluge, wie die abgezogene, gewaschene und luftgetrocknete Tierhaut mit gelöschtem Kalk eingestrichen und gefaltet wird. Gelöschter Kalk entsteht, wenn gebrannter Kalk (auf 800°C erhitzter Kalkstein) mit Wasser versetzt wird. Das so entstandene Pulver kann wiederum mit Wasser zu einer klumpig-dicken, basischen Paste angerührt werden. Diese wird zur Entfernung der Haare auf die Fleischseite (!) der Haut aufgetragen, welche danach mit dieser Seite nach innen zusammengefaltet und für mehrere Tage in einen geschlossenen Behälter gelegt wird. Bei heute hergestelltem Pergament werden die Haare normalerweise enzymatisch entfernt, was zwar weniger aufwändig ist, aber den Nachteil hat, dass das Produkt anders auf Umwelteinflüsse reagiert als traditionell gefertigtes Pergament.

Mit im Voraus von Herrn Kluge präparierten Häuten konnten die TeilnehmerInnen ohne Wartezeit zum nächsten Schritt übergehen, dem Enthaaren. Mit dem Öffnen des Behälters für die eingelegten Häute setzte eine gewisse Geruchsbelästigung ein, die jedoch weit weniger schlimm war als erwartet. Die eingekalkte Haut wurde auf einem schräg positionierten Brett ausgebreitet und abwechselnd von den mit Schürzen sowie Handschuhen ausgestatteten Workshop-TeilnehmerInnen bearbeitet: Hinter dem Brett stehend schabten wir mit einer langen, an jedem Ende mit einem Griff versehenen Klinge die Haare ab, die sich zum Glück gut lösten und auch einfach mit der Hand entfernt werden konnten. Letzteres war sicherlich schonender für die Tierhaut, denn bei Unebenheiten des Brettes oder Falten verursachte man schnell unbeabsichtigt ein kleines Loch. Herr Kluge verriet bei dieser Gelegenheit, dass unklar ist, wie die Haare korrekt zu entsorgen sind. In früherer Zeit, insbesondere während einer Wolleknappheit im 17. Jh., wurden sie tatsächlich noch versponnen. Um sie vorher mit möglichst wenigen ätzenden Substanzen in Kontakt zu bringen, wurden allerlei Methoden ausprobiert, etwa das Einreiben der Häute mit fauligem Brot statt mit Kalkpaste.

Nach der vollständigen Entfernung der Haare und dem Auswaschen des Kalkes musste die Haut zum Trocknen auf rechteckige Holzrahmen gespannt werden. Dazu schlugen wir Kieselsteine in einen Hautzipfel am Rand ein und umwickelten sie mit einem Faden, dessen anderes Ende wir mithilfe einer Gänsefeder durch ein Loch im Rahmen zogen und verpflockten. Das Aufspannen war schwieriger als gedacht, da immer wieder nachgespannt werden musste, um insbesondere auf die dicken Hautpartien im Nacken und am Rückgrat entlang ausreichend Zug auszuüben. Wenn dieser zu schwach ist, dringt nicht genug Luft in die Haut ein  und das Pergament wird durchsichtig. In feuchtem Zustand ist auf dem Spannrahmen auch noch problemlos das Nähen von Löchern möglich.

Bevor die Fleischseite mit einem Messer abgeschabt werden konnte, musste sie etwas antrocknen. Nach dem Abschaben unternahm Herr Kluge den Versuch, die Haut zu spalten. Wir hatten es mit einer Schafshaut zu tun, die zwischen den regulären Hautschichten (Papillarund Retikularschicht) eine dicke Fettschicht aufweist. Herr Kluge hatte in den vergangenen Workshops die Erfahrung gemacht, dass dieses Fett beim Trocknen in der Sonne flüssig wird und die gesamte Haut durchtränkt, sodass sie durchsichtig wird und kaum mehr zu gebrauchen ist. Ein Chemiker hatte ihm den Rat gegeben, die Häute mit Pottasche zu behandeln, wodurch das Fett zu Seife würde und sich auswaschen ließe. Da Herr Kluge jedoch gelesen hatte, dass Häute auch gespalten werden können, wollte er zunächst diese Methode ausprobieren, um die Fettschicht freizulegen. Der Erfolg war indessen gering: Die Retikularschicht riss immer wieder ein, sodass mehrere große Löcher das Ergebnis waren. Allerdings war womöglich nur die Klinge des Messers zu dick, der Zeitpunkt falsch gewählt oder diese spezielle Haut ungeeignet, was durch weitere Versuche geklärt werden müsste.

Innerhalb von einer guten Stunde waren die aufgespannten Häute durchgetrocknet und konnten abschließend mit einem Bimsstein (oder einem Stück Porenbeton) und Kalkpulver abgeschliffen werden. Neben dem Angebot, fertiges Pergament oder Papier mit einer Feder zu beschreiben, bot sich in der Papiermühle noch die Gelegenheit, beim Papierschöpfen zuzusehen, selber mit einem Handtiegel zu drucken und den eigenen Namen zu setzen. Aber auch die nicht interaktiven Teile der Dauerausstellung sind sehenswert: Hier werden die Geschichte des Papiers, der Schrift sowie des Schreibens präsentiert und die Schritte vom Schriftguss über den Buchdruck bis hin zum fertigen Buch in ihrer Entwicklung durch die Jahrhunderte gezeigt. Der Höhepunkt des Tages war trotzdem eindeutig der praktisch-experimentelle Teil, bei dem sich Herrn Kluges Ansicht, dass man sich mit der Produktion von Pergament nur auf diese Weise eingehend beschäftigen könne, absolut bestätigte.

Bildnachweis: Christopher Martin, 2017.