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Bericht über das Masterseminar in Schlettstadt

Benjamin Torn, Studierender des Master "Mittelalter- und Renaissance-Studien", beschreibt im folgenden Bericht den dritten Studierendenworkshop, der von Masterstudierenden der Universitäten Basel, Freiburg im Breisgau und Straßburg bestritten und durch das Seed-Money-Projekt im Rahmen des Eucor-Verbandes gefördert wurde. Im Zentrum des Workshops stand die Humanistenbibliothek der elsässischen Kleinstadt Schlettstadt/Sélestat. Dort kamen am 26. und 27. April 2019 Gruppen aller drei Universitäten zusammen, um sich sprach-, nationen- und fächerübergreifend dem Wissen und der Wissensordnung humanistischer Gelehrsamkeit zu widmen. Zunächst lag der Fokus auf der Auseinandersetzung mit einzelnen Handschriften, die von den Studierenden in kleinen Teams im wörtlichen Sinn unter die Lupe genommen wurden. Anschließend erfolgte die Präsentation der Ergebnisse aufgeteilt in vier Sektionen.

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Historiographie

Schlettstadt 5.jpgEin erster Block thematisierte verschiedene Handschriften historiographischen Inhalts. Eine von Meret Wüthrich und Ann-Kathrin Diekert (Freiburg) präsentierte Sammelhandschrift vereinigte Texte der Kirchenväter und älterer Autoren mit zeitgenössischen, spätmittelalterlichen Autoren. Lesehilfen, Glossen und kleinere Ergänzungen zeugen von der regen Verwendung. Die von Nicolas Fiedel und Magdalena Müller (Freiburg) vorgestellte Handschrift konnte neben Kapiteln zum Lehnrecht des Schwabenspiegels, einer Abschrift des Straßburger Stadtrechts und ei-nem Kalender auch mit einem sogenannten „Sammellunar“ aufwarten, das Alltagstipps zum idealen Zeitpunkt verschiedener Tätigkeiten wie Aderlässe und Gartenarbeiten beinhielt. Eine dritte Handschrift führte unmittelbar in die Schlettstädter Bildungslandschaft des 15. und 16. Jahrhunderts, da es sich um den Autor der darin befindlichen Chronik, Hieronymus Gebwiler, um den Rektor der dortigen Lateinschule handelte. Auf dessen Umfeld und Bildungsumstände gingen Dominic Weber und David Mache (Basel) in ihrem Vortrag näher ein. Abgeschlossen wurde die Sektion durch die Präsentation des Liber miraculorum St. Fides durch Leoline Calmus, Awena Jehanna und Enrique Sanchez Moreno (Straßburg). Die Handschrift zeichnete sich nicht nur durch ihren reichen Buchschmuck aus, sondern auch durch ihre musikalischen Sequenzen.

Geistliche Literatur

Die zweite Sektion war der geistlichen Literatur gewidmet. Ausgehend von einer Handschrift mit Otto von Passaus Goldenem Thron der minnenden Seele fragte Nicolas Frottier (Straßburg) danach, wie sich die Vierundzwanzig Alten in die Kulturlandschaft am Oberrhein und speziell in die dortige devotio moderna einschrieben. Die vielen Abschriften des Werkes zeugen von einer weiten, über alle Schichten hinweg gehenden Rezeption. Meret Bohner und Severin Carlo Hirt (Basel) ergänzten ausgehend von Philipp dem Kartäuser Aspekte der Marienverehrung, die als Tempeljungfrau, Familienfrau und Prototyp des erlösten Menschen auf unterschiedlichste Weise als Vorbild dienen konnte. Zwei Round-Table-Diskussionen zu den beiden Autoren und ihren Texten unter der Leitung von Marc Vetter und Maximilian Krümpelmann sowie Lea von Berg rundeten die Sektion ab.

Humanismus

Schlettstadt 10.jpegEine dritte Sektion führte anhand der Schulhefte bekannter Schlettstädter in die dortige humanistische Bildungslandschaft. Elsie Peillon (Straßburg), am Beispiel des Heftes Wilhelms von Giesenheim, und Nektaria Hanker (Basel), am Beispiel des Heftes des Beatus Rhenanus, verdeutlichten anhand zahlreicher Notizen deren Gebrauchskontext. Vom praktischen Gebrauch zeugen dabei Vokabelglossen (Übersetzungen oder Synonyme) sowie Beatus‘ Register und Wilhelms lexikalische Übersicht am Ende der Hefte. Im Besitz des Beatus Rhenanus befand sich auch eine Makrobius-Handschrift, die Oliver Budey und Yao Lu (Freiburg) sowie Daphné Keramidas (Straßburg) genauer untersuchten und dabei insbesondere auf dessen Kartendarstellungen ein-gingen. Anhand derer ließ sich verdeutlichen, wie antikes Wissen aktualisiert und ergänzt wurde. Durch Benjamin Bicharas (Straßburg) Einführung in die spätmittelalterliche Kosmographie fanden diese ihren humanistischen Kontext.

Scholastik

Als letztes Themenfeld rückte die scholastische Bildung in den Fokus. Tina Nardi, Quentin Aug und Nathan Rupp (Straßburg) sowie Yannick Vogel (Basel) präsentierten in ihren Vorträgen eine Handschrift des 15. Jahrhunderts, die die Summa Confessorum des Bertholds von Freiburg enthielt, der 140 Jahre zuvor das Beichtbuch seines Glaubensbruders Johannes ins Deutsche übersetzt und damit das älteste kirchenrechtliche Handbuch in deutscher Sprache geschaffen hatte. Lysander Büchli (Straßburg) und Audrey Gôme (Straßburg) zeigten anhand von Handschriften des Johannes Nider auf, wie die kirchenrechtliche Theorie mittels scholastischer Überlegungen in die soziale Praxis überführt und dabei auch Phänomene wie beispielsweise Poltergeister als Aberglauben entlarvt wurden. Abschließend rückten Matthias Bartz und Sabine Mäurer (Basel) mit Nikolaus von Dinkelsbühl einen in Wien agierenden Kämpfer für die Melker Kirchenreform in den Vordergrund.

Schlussbemerkungen

Schlettstadt 1.jpgEingerahmt durch zwei Führungen, zunächst durch die Humanistenbibliothek und deren Dauerausstellung sowie abschließend durch die Altstadt Schlettstadts, bot der zweitägige Workshop vielerlei Möglichkeiten Neues kennenzulernen. Während der Pausenkaffee und das gemeinsame Mittag- sowie Abendessen für einen Austausch über Nationen und Universitäten hinweg sowie für eine rege Kommunikation trotz sprachlicher Hindernisse sorgte, gewährten die Vorträge Einblicke in die vielfältige Text- und Wissenslandschaft über Fachgrenzen hinweg. Der Workshop bot daher eine gute Gelegenheit, direkt mit den Handschriften zu arbeiten, ihre Inhalte am Original zu erschließen sowie das paläographische und kodikologische Handwerk vertiefend einzuüben, um anschließend darüber zu diskutieren. Somit wurde die Humanistenbibliothek zu einem lebendigen Ort des Austausches, Wissens und Wissenserwerb – und gewiss nicht zum letzten Mal begeistert besucht.

Alle Bilder von Yao Lu, 2019.